Welche Farbe hat mein Schmerz?

Judith Bolz: Wie sich Symptome wertschätzend nutzen lassen

Wie sich Symptome wertschätzend nutzen lassen

Für den Beginn meiner Stressmanagement-Seminare in Unternehmen notiere ich eine Reihe von Beschwerden auf dem Flipchart: Sehstörungen, müde Augen, trockene Augen, verschwommenes Sehen, Schulter- und Nackenverspannungen, Kopfschmerzen, Ohrgeräusche oder Tinnitus.

Manch einer unter den Mitarbeitern sagt schon beim Hereinkommen in den Seminarraum: „Oh, diese Symptome habe ich alle!“ Später kreuzen sie die ganze Palette an. Andere kennen mindestens zwei bis drei dieser Beschwerden. Sehr wenige sind beschwerdefrei.

Symptome sind allgemein lästige Begleiter und stören uns ganz besonders bei der Arbeit. Manche melden sich permanent, andere phasenweise. Wenn ein Symptom uns länger begleitet, beginnt es uns zu beschäftigen. Unsere Aufmerksamkeit kreist um dieses Problem. Wir wollen es eigentlich weghaben, und je mehr wir dies wollen, desto mehr drängt es sich in den Vordergrund. Wenn die Medizin doch nur alles wieder heil machen könnte! Am liebsten würden wir unseren Körper in eine Werkstatt geben. „Hier, schau her, da funktioniert etwas nicht mehr. Bitte reparieren.“

Im Kontakt mit dem Symptom

Nach meiner Erfahrung ist es hilfreich, sich um das Symptom zu kümmern. Wir können uns vornehmen, einmal am Tag für drei Minuten nach innen zu lauschen, genau zu spüren und Kontakt mit dem Symptom aufzunehmen. Oder wir können in dem Moment, in dem wir merken, dass wir Kopfschmerzen haben, zum Beispiel sagen: „Ah schau, da bist du wieder.“ Und wir könnten den Schmerz beschreiben. Wie fühlt er sich gerade an? Was spüren wir genau? Hilfreich sind folgende Fragen, die wir uns selbst stellen können und die ich auch im Seminar und im Coaching anwende:

  • Wie empfinde ich den Schmerz, dehnt er sich aus oder zieht er sich eher zusammen?
  • Wenn ich ihm eine Farbe geben könnte, welche wäre es?
  • Wenn er klingen würde, wie hörte er sich an?
  • Was ändert sich gerade, während ich mich meinem Schmerz zuwende?
  • Was tut mir gut? Wie würde eine Variante, etwa in der Farbe, den Schmerz verändern, ihn z. B. lindern?
  • Wie könnte ich den Klang regeln? Was geschieht, wenn ich ihn etwas leiser drehe oder von der Klangfarbe her dunkler?

Anstatt also gedanklich um das Symptom zu kreisen, können wir es wie von außen wahrnehmen. Ein wichtiger erster Schritt besteht darin, es zu begrüßen und zu versuchen, es als Sprache unseres Körpers zu verstehen, der uns auf etwas aufmerksam macht. Er erinnert uns daran, dass es Zeit ist, uns um uns selbst zu kümmern. Eine Pause zu machen. Eine Entscheidung zu fällen. Einen Konflikt wahrzunehmen, egal, ob in uns oder mit anderen. Wir können unsere Symptome, ähnlich wie unsere Gefühle auch, auf diese Weise schätzen lernen.

Ute kommt einmal monatlich in meine Coachingpraxis. In dem Moment, in dem sie sich in einem sehr entspannten Zustand auf das Symptom einlässt und von mir nach Farbe, Klang und Ausdehnung gefragt wird, beginnen ihre Beschwerden nachzulassen. Nach einiger Zeit gleitet sie in ein sehr angenehmes Wohlgefühl, ihre Augen fühlen sich leicht und beweglich an, ihr Kopf ist frei, und wenn sie die Augen öffnet, beschreibt sie, wie klar und hell die Farben sind.

Symptom als Lehrmeister

Wenn wir ein Symptom bemerken, reicht es oft schon, eine kleine Achtsamkeitspause einzulegen. Eine Teilnehmerin mit einem Tinnitus-Problem erarbeitete sich im Seminar folgenden Satz: „Immer, wenn mein Ohrgeräusch auftaucht, nehme ich drei tiefe Atemzüge und mache eine wohltuende Pause.“ Was heißen kann, vom Arbeitsplatz aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. Die Teilnehmerin berichtete mir später, dass sie dieses Ritual regelmäßig anwendete und wie sie ihr Symptom mehr und mehr als freundliches Warnsignal schätzen lernte. Eines Tages bemerkte sie, dass das Ohrgeräusch verschwunden war. Sie war erst ein wenig enttäuscht, ihr fehlte das Signal für Pausen. Und sie fand eine andere Möglichkeit, Pausen einzuhalten und war dankbar für diese Lehre.

All dies ist hilfreicher, als unsere Symptome zu bekämpfen. Denn dann kämpfe ich auch gegen einen Teil in mir, der vielleicht nicht genügend gehört wird. Vielleicht ist es ein Teil, der Langsamkeit schätzt oder der den Moment genießen möchte. Oder ein Teil, der sich Sorgen um unsere Gesundheit macht, weil wir uns zu wenig um uns selbst kümmern. Angeregt durch eine Intervention aus der Ego-States-Therapie von Silvia Zanotta arbeite ich häufig mit dem Moment der Aufmerksamkeitsverschiebung. Wohl jeder hat schon einmal bemerkt, dass zum Beispiel ein schmerzendes Knie oder ein Rückenproblem während eines spannenden Krimis oder Fernsehfilmes verschwindet. Wir merken den Schmerz erst wieder, wenn der Film vorbei ist. Dieses Phänomen können wir nutzen, indem wir mit unserer Aufmerksamkeit wechselnd einmal zum Symptom und dann zu einer angenehmen oder neutralen Stelle im Körper wandern. Mit solchem Pendeln lösen wir die Fokussierung auf das Symptom auf und es ist möglich, dass auch der Schmerz sich auflöst.

Übung: Aufmerksamkeitsverschiebung

Nehmen Sie Ihr Symptom wahr. Ist es ein Schmerz oder ein Ziehen? Fühlt es sich eher kühl oder warm an? Dehnt es sich aus oder zieht es sich zusammen?

Dann gehen Sie zu einer Stelle, die neutral ist oder sich besonders angenehm anfühlt. Nehmen Sie auch dort Ihre Empfindungen wahr: Ist es eher kühl oder warm usw.

Dann gehen Sie wieder zum Schmerz, beschreiben wieder Ihre Empfindung und wechseln Sie danach wieder zur angenehmen oder neutralen Stelle, die Sie auch wieder beschreiben. Wiederholen Sie dies ein paar Mal und achten Sie darauf, was sich verändert..

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